STORY: Sodabuckel – die umstrittene Sicherung
Es braucht heftige Debatten zwischen Projektbeirat und Kommunalpolitik, bis die Stadt Lampertheim die Sicherung der Abfallhalde der ehemaligen chemischen Fabrik gründlich angeht. Umstritten ist ais Kostengründen vor allem die Frage, ob darauf wieder Wald wachsen soll. Ja heißt am Ende die Antwort – doch zu sehen ist davon bisher wenig.
Von Michael Bayer
Die Sanierung des Ortskerns darf als großer Erfolg gelten – für die Durchsetzungskraft der Anwohner genauso wie die gründliche Planung und Ausführung. Doch die frühere chemische Fabrik hinterließ giftige Reste ihrer Produktion nicht nur auf dem früheren Produktionsgelände. Im Wald rund um Neuschloß schlummern weitere Altlasten.
Der „Sodabuckel“ hinter dem Buchenweg trägt nicht ohne Grund im Volkmund seinen Namen. Es handelt sich um die Abfallhalde der Sodafabrik. Die Zusammensetzung der Altlasten dort sind ähnlich wie jene im Wohngebiet. Teilweise sind die Werte sogar heftiger.
Dennoch muss der Stadtteil erst deutlich die Forderung nach einer Sicherung des Sodabuckels formulieren. Zwar steht Bürgermeister Erich Maier wie schon bei der Bodensanierung im Ortskern auf der Seite der Neuschlößer. Doch als das Land klarmacht, dass die Kommune die Kosten alleine schultern muss, bremsen Stadtverordnete. Sie sehen offenbar die nötigen Millionen lieber anderswo und prestigeträchtiger angelegt als in einer Gilfthalde.
Zum ersten Mal wird das klar, als es um den Umgang mit einen kleinen Buckel auf dem großen Buckel geht, der als besonders gefährlich gilt – und ausgerechnet in unmittelbarer Nähe der Buchenweg-Gärten liegt: der Dioxinhügel.
Projektbeirat und Ortsbeirat fordern im Jahr 2007 gleichermaßen, dass diese Gefahr schon vor der erst für viele Jahre später geplanten Gesamtsicherung des Sodabuckels wegkommt. Aber die Kommunalpolitik zögert weiter. Es droht die Chance zu verstreichen, den Dioxinhügel gemeinsam mit den angrenzenden Grundstücken im letzten Abschnitt der Bodensanierung zu beseitigen. Der Projektbeirat handelt hinter den Kulissen einen Kompromiss aus: Der Dioxinhügel wird abgebaut, die giftige Erde in den inneren Bereich des Sodabuckels verlagert – und später mitsaniert.
Doch nun gibt es plötzlich neue Bedenken in den Parteien; die Abmachung droht zu scheitern. Die SPD kommt zwischenzeitlich auf die Idee, den Altrhein zu entschlacken und den Abfall gleich mit auf den Sodobuckel zu legen – gegen die bestehende Beschlusslage, dass keine Schadstoffe von außerhalb auf den Buckel kommen. Der Projektbeirat schreibt einen flammenden und durchaus auch wütenden Appell an alle Stadtverordneten. Am Ende gilt doch der Kompromiss.
Im Frühjahr 2009 präsentiert die Stadtverwaltung ein Gutachten, das drei Varianten für eine Sicherung des Sodabuckels vorschlägt:
- die vergiftete Erde komplett wegschaffen (29 Millionen Euro),
- den Wald fällen, den Berg modellieren, eine Folie zur Ableitung des Oberflächenwassers installieren und 1,30 Meter Erde auftragen – was allenfalls eine kleine Bepflanzung ermöglichen würde (7,5 Millionen Euro),
- statt der Folie wird eine spezielle Bodenmischung (Wasserhaushaltsschicht) eingebaut (3,7 Millionen Euro).
Im folgenden kreist die Debatte vor allem darum, ob Folie oder Wasserhaushaltsschicht verwendet werden und ob nach den Arbeiten statt kleinem Bewuchs wieder ein Wald möglich sein soll. Dann müsste mehr Erde aufgefüllt werden.
Der Projektbeirat fürchtet zudem, die Konzepte berücksichtigten zu wenig die mögliche Belastung des Grundwassers; er fordert weitere Untersuchungen vor einer Entscheidung. Am Ende werden darauf eingehend zusätzliche Messungen vorgenommen, die Entwarnung geben. Man einigt sich auf die Wasserhaushaltsschicht im Inneren, Folie in den flachen Randgebieten – und so viel Erde, dass zumindest im höheren Teil flachwurzelnde Bäume wachsen können. Außenherum sind Sträucher vorgesehen.
Im Januar 2014 informiert die Stadt Lampertheim die Neuschlößer über die geplanten Arbeiten in einer Bürgerversammlung. Kurz danach beginnt die Rodung. Doch über den Sommer geraten die Bauarbeiten ins Stocken. Der Verdacht kommt auf, das ausführende Unternehmen könnte sich übernommen haben.
Im Oktober zieht die Stadt die Notbremse – und wirft die Firma raus. Und in der politischen Ebene taucht wieder die Frage auf, ob die Sanierung überhaupt nötig ist. Im Dezember entscheiden die Stadtverordneten dann, die Arbeiten an jene Bietergemeinschaft neu zu vergeben, die schon zuvor einen großen Teil der Grundstücke um Ortskern saniert hatte.
Im November 2016 sind die Arbeiten abgeschossen. Die ehemalige Abfallhalde der Chemischen Fabrik ist in Form gebracht und neu mit einigen Bäumen und Sträuchern bepflanzt. Die Wasserhaushaltsschicht schützt das Grundwasser – denn ein Großteil der Schadstoffe liegt wie in der Siedlung unter der aufgetragenen Erde. Zäune um den Buckel sollen Wildtiere von den noch jungen Pflanzen und der Sperrschicht fernhalten.
Doch Grün ist alle Theorie. Anfang 2020 zeigt sich der Sodabuckel noch weitgehend nackt. Von einem Wald oder nur dichtem Sträucherbewuchs keine Spur.
Mehr über die Sicherung des Sodabuckels lesen Sie in unseren Originalbeiträgen aus dieser Zeit.
Die weiteren Kapitel der Altlastensanierung von Neuschloß
- Grundwasser – die kleine Revolution. Das Grundwasser ist voller Arsen; Experten gehen von bis zu zehn Tonnen aus. Eine Größenordnung, die die bisherige Sanierungstechnik überfordert. Wissenschaftler der Universität Heidelberg entwickeln deshalb in Neuschloß ein weltweit neues Verfahren. Nach erfolgreichen Tests startet die großtechnische Umsetzung seit 2020 durch. Die Grundwasser-Story.
- Wald – die hochgiftige Idylle. Den feinen Neuschlößer Sand verwendete die chemische Fabrik Ende des 19. Jahrhunderts für ihren Kunstdünger. Die entstandenen Mulden im Wald füllte sie mit Bauschutt und Chemikalienresten. Deshalb liegen heute in unmittelbarer Nähe der Bebauung Schadstoffe in schwindelerregenden Dimensionen. Von der geplanten Sicherung sind auch Grundstücke im Fichtenweg betroffen. Die Wald-Story.
- Bodensanierung – der große Kampf. Am Anfang will die Gefahr kaum jemand wahrhaben – Verantwortliche der Stadt genauso wenig wie viele Anwohnerinnen und Anwohner. Dann kämpft der Stadtteil, vereint in Altlastenverein und Projektbeirat. Und wird bekannt als größte bewohnte Altlast Hessens – und dank der Bürgerbeteiligung zum bundesweiten Vorbild. Die große Geschichte der Altlastensanierung im Ortskern von Neuschloß.